Vom Schreiben

Vor einigen Tagen saß ich in einem kleinen Café, umgeben von der Geräuschkulisse des Alltags – dem Klirren von Tassen, dem Gemurmel der Gespräche, der Musik, die leise im Hintergrund spielte. Plötzlich fiel mir jemand ins Auge: Kopfhörer in den Ohren, kein Smartphone auf dem Tisch, stattdessen ein Notizbuch und ein Stift in der Hand. Der Platz schräg gegenüber war frei, und ich setzte mich so hin, dass ich ihn gut beobachten konnte. Zeile um Zeile, Absatz um Absatz schrieb er, ohne den Stift abzusetzen, außer um hin und wieder einen Schluck Kaffee zu nehmen.

Ich erkannte diesen Zustand sofort – dieses intensive Festhalten eines Gedankens, den man so sehr fixiert hat, dass er unbedingt „abgeschrieben“ werden muss. In solchen Momenten muss alles aufs Papier. Ohne Rücksicht auf Schreibstil, Grammatik oder logischen Aufbau der Gedankenschrift. Es ist ein unaufhaltsamer Fluss von Gedanken, der direkt aus dem Kopf in die Hand und aufs Papier strömt.

Wenn heute jemand, im Zeitalter von Note-Apps und verschachtelten, KI-unterstützten Softwarelösungen, handschriftlich in einen Block schreibt, was denkt man sich da bei diesem Anblick? Es mag antiquiert erscheinen, gar anachronistisch, vielleicht sogar ein bisschen romantisch. In einer Ära, in der jeder Gedanke, jede Aufgabe und jede Erinnerung digital erfasst werden kann, bietet das handschriftliche Notieren eine ganz besondere Form der Achtsamkeit und des persönlichen Ausdrucks.

Handschriftliche Notizen haben für mich etwas Magisches. Es ist die Verbindung von Hand und Geist, die durch das Schreiben auf Papier einen ganz eigenen Zauber entfaltet. Jede Zeile, jeder Buchstabe trägt die Persönlichkeit des Schreibers in sich. Die kleinen Unvollkommenheiten und individuellen Eigenheiten der Handschrift – Schreibfehler, Korrekturen, Kritzeleien – erzählen weit mehr als der bloße Text. Wenn ich meine Notizen später zur Hand nehme und die Seiten durchblättere, kann ich meine damaligen Empfindungen, Impulse und sogar meinen körperlichen Zustand nachfühlen.

Während digitale Notizen oft darauf abzielen, effizient, durchsuchbar und leicht zu teilen zu sein, bieten handschriftliche Notizen für mich eine tiefere Verbindung zu den Gedanken und Gefühlen, die ich festhalten will. Selbst ganz sachliche Dinge wie Projektpläne, Meetingnotizen oder To-Do-Listen füllen sich durch die Handschrift und die kleinen Striche, Punkte, Einkreisungen, Figuren oder Kommentare mit Leben. Das ist mir so viel wichtiger als eine saubere Aneinanderreihung von Stichpunkten, Absätzen, Unterordnern und Suchbegriffen.

Das handschriftliche Notieren hilft mir, mich besser an Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle zu erinnern. Der physische Akt des Schreibens bindet mein Gehirn auf eine ganz andere, intensivere Weise ein.

Persönliche Journale, selbst wenn sie nur sporadisch geführt werden, sind ein Ort der Reflexion und des Wachstums. Sie bieten einen unabgelenkten, fast schon therapeutischen Raum. Schreiben ist ein bewusster Akt, der uns in einer immer hektischer werdenden Welt verlangsamt und uns erlaubt, tiefer in unsere Gedanken einzutauchen.

Als reisender Fotograf habe ich mein Journal stets bei mir. Es ist mein treuer Begleiter auf all meinen Wegen, ein Ort, an dem ich meine Eindrücke, Gedanken und Visionen festhalte. Wenn ich durch die Straßen fremder Städte streife, die Weite der Landschaften genieße oder die Gesichter der Menschen durch meine Linse betrachte, ist es das Schreiben, das mir hilft, diese flüchtigen Momente zu bewahren. Ein Bild mag tausend Worte sagen, aber die Worte, die ich niederschreibe, geben diesen Bildern eine tiefere Bedeutung, eine persönliche Note, die nur ich in mir trage.

In einer Welt, die zunehmend von digitalen Technologien dominiert wird, bietet das Handschriftliche eine willkommene Abwechslung und eine Möglichkeit, mich wieder mit mir selbst zu verbinden. Es ist mehr als nur Schreiben. Es ist eine Kunstform, eine Praxis der Achtsamkeit und ein Weg, meine Identität zu erforschen und zu bewahren.

Vielleicht, nein, wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass ich in Zukunft mehr und mehr das geschriebene Wort mit meiner Fotografie verbinden möchte. Ohne die Interpretation oder die Gedanken des Betrachters zu sehr beeinflussen zu wollen, in Nuancen und in genau der richtigen Menge und Art.

Also, wenn Du das nächste mal jemanden in Gedanken versunken in einen Block schreiben siehst, genieße es ein bisschen mehr als nur vorbeizuschauen. überlege dir, wann du das letzte mal etwas geschrieben, festgehalten und welchen Gedanken du "abgeschrieben" hast.

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