Dich sehen

Kürzlich habe ich auf Instagram das Folgende gepostet: "Wenn du dich nicht genug liebst, kann ich kein Bild von dir machen. Wenn du dich zu sehr liebst, kann ich es auch nicht." Natürlich sind solche Aussagen nicht als allgemeingültige Weisheiten zu betrachten, sondern spiegeln in erster Linie meine persönliche Perspektive wider. Doch gerade in der Portraitfotografie geht es darum, Menschen abzubilden, während sie sich dessen bewusst sind. Es gibt Momente, in denen Menschen "nicht bei sich" sind – sei es, weil sie sich anders wahrnehmen als sie sind oder weil ihr objektives und subjektives Selbstbild nicht übereinstimmen.

Es gibt ikonische Portraits von Menschen mit extremen Persönlichkeitsmerkmalen, bei denen viele näher bei sich waren, als man denkt. Wie fühlten sich Persönlichkeiten wie Marilyn Monroe oder Andy Warhol vor der Kamera als sie portraitiert wurden?

Als Fotograf, insbesondere bei Porträts von Schauspielern, erlebe ich, wie es ihnen schwerfällt, bei sich zu sein und für ein Porträt zu posieren. Wie können sie sich zeigen, ohne von den vielen Persönlichkeiten, an denen sie sich orientieren, beeinflusst zu werden? Wie schaffe ich es, die vielen Persönlichkeiten, an denen sie sich geistig orientieren, auszublenden, abzuschälen?

Vielleicht ist eines der großen Geheimnisse der Portraitfotografie das Strecken von einzelnen Momentaufnahmen zu Serien, die verschiedene Aspekte des Lebens eines Individuums einfangen. Inspiriert für meine heutige Portraitfotografie wurde ich schon in den 80er Jahren von Dennis Stocks Arbeit mit James Dean in den 1950er Jahren und Bert Sterns letzten Sitzungen mit Marilyn Monroe im Beverly Hills Hotel Anfang der 1960er Jahre. Auch wenn ich damals Reisen- und Bergfotografie machte, so erinnere ich mich heute fast jedes Mal an diese Bildstrecken.

Meine fotografische Arbeit wird sich in Zukunft verstärkt in diese Richtung entwickeln. Mehr dokumentarisch, mehr Kontext und Raum um aus einer Abbildnis ein “echtes” Portrait zu machen.

Heute, wo soziale Medien verstärkt auf Inszenierung und die Verzerrung des Selbstbildes setzen, ist das der richtige weg für mich.

Zurück
Zurück

Lob des Schattens

Weiter
Weiter

Knipsen